Personalmangel, hohe Energiepreise sowie weitere Kosten: In der Pflege verschärft sich die Lage immer weiter. Davon sind auch Personaldienstleister betroffen. Denn im Falle einer Insolvenz der Pflegeeinrichtung haben sie mit Zahlungsausfällen zu kämpfen.
arbeitsblog: Herr Roell, die Corona-Pandemie hat den ohnehin schon herrschenden Pflegenotstand zweifellos verschärft und Missstände in der Branche in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Wolfgang Roell: Viele Mitarbeitende haben sich in den vergangenen Jahren von der Politik, aber auch von ihren Arbeitgebern alleine gelassen gefühlt. Hinzu kommt, dass die meisten unter einer sehr hohen Arbeitsbelastung leiden – und viele haben diese auf Dauer nicht mehr ausgehalten. Die Folge: Viele der dringend benötigten Fachkräfte sind in andere Branchen ausgewichen, haben umgeschult etc. Darüber hinaus spielen noch Faktoren wie der demografische Wandel eine entscheidende Rolle und verschärfen die Lage weiter. Nach Angaben des Deutschen Pflegerats fehlen schon heute etwa 200.000 Pflegekräfte in Deutschland – und bis zum Jahr 2030 sollen es bis zu 500.000 sein. Der Pflegebereich wird auf lange Sicht die gravierenden Konsequenzen dieser Entwicklungen tragen müssen. Personaldienstleistung kann hier zur Entschärfung der Situation beitragen. Denn es gibt, wie wir mittlerweile wissen, ausreichend Beispiele von Pflegekräften, die über die Zeitarbeit in die Pflegeeinrichtungen zurückgefunden haben – und das zu deutlich besseren, flexibleren Bedingungen.
arbeitsblog: Auf der einen Seite zeigen aktuelle Zahlen deutlich auf, welche wichtige Rolle die Zeitarbeit spielt. Bei einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) haben rund 20 Prozent der Einrichtungen, die auf Zeitarbeit zurückgreifen, angegeben, dass sie das Jahr 2022 ohne dieses Personal nicht hätten sicherstellen können – und für weitere 73 Prozent wäre dies nur mit größeren Einschränkungen möglich gewesen. Für viele stellt die Zeitarbeit in der Pflege dennoch ein Teil des Problems und nicht der Lösung dar …
Wolfgang Roell: Es gibt in diesem Zusammenhang viele Vorurteile – das trifft leider generell auf das Thema Zeitarbeit zu –, viele unsachliche Diskussionen und viele Halbwahrheiten. Wir dürfen nicht vergessen: nur etwa 2,4 Prozent der in der Pflege tätigen Personen sind Zeitarbeitskräfte. Wenn man aktuelle Berichte liest, könnte man annehmen, dass die Zeitarbeit längst die Oberhand gewonnen hat und in der Pflegebranche dominiert. Denn: Oft genug spricht man von einem „Boom der Zeitarbeit“ – das ist schlicht und ergreifend falsch.
„Es gibt, wie wir mittlerweile wissen, ausreichend Beispiele von Pflegekräften, die über die Zeitarbeit in die Pflegeeinrichtungen zurückgefunden haben – und das zu deutlich besseren, flexibleren Bedingungen.“
Wolfgang Roell
arbeitsblog: Laut einer Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des BAP und iGZ könnte sich eine Einschränkung der Zeitarbeit dennoch ganz erheblich auf die Branche auswirken und zum Verlust von bis zu 21.000 Fachkräften führen …
Wolfgang Roell: Unter anderem deswegen ist zu hoffen, dass die Argumente von iGZ und BAP Gehör finden und die Politik die Lage in der Pflegebranche nicht noch weiter verschlechtert …
arbeitsblog: Laut einem Bericht der tagesschau führt der Einsatz von Zeitarbeitskräften zu deutlich höheren Kosten – kann das zu Finanzierungsschwierigkeiten führen, die sich auch bei den Personaldienstleistern bemerkbar machen?
Wolfgang Roell: Dabei handelt es sich um einen komplexen Sachverhalt. Leider muss konzertiert werden, dass nicht alle Pflegeeinrichtungen gewinnbringend wirtschaften – trotz der durchaus hohen Kosten, die die zu Pflegenden zu tragen haben. Neben dem gravierenden Fachkräftemangel spielen auch die hohen Preise für Energie, Bauen und Zinsen eine Rolle. So ist es in der Vergangenheit zu zahlreichen Insolvenzen unter den Pflegeinrichtungen gekommen und das auch bei durchaus bekannteren Einrichtungen. Die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls besteht also durchaus. Das kann und will sich eigentlich kein Personaldienstleister leisten.
arbeitsblog: Gibt es hier Besonderheiten, die eine Rolle spielen?
Wolfgang Roell: Durchaus. Der Unterschied kann schon in der Gesellschaftsform liegen. Hat man es mit einer öffentlich-rechtlichen Institution zu tun, kann man das Risiko vernachlässigen. Aber bei einer GmbH oder einer AG sieht das schon ganz anders aus. Ich selbst habe Pflegeeinrichtungen gesehen, deren mittleres zweistelliges Millionenkapital innerhalb von wenigen Jahren aufgebraucht war. Und genau hierin liegt das Risiko. Daher sollte man dies nicht auf die leichte Schulter nehmen.
„In der Vergangenheit ist es zu zahlreichen Insolvenzen unter den Pflegeinrichtungen gekommen und das auch bei durchaus bekannteren Einrichtungen. Die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls besteht also durchaus. Das kann und will sich eigentlich kein Personaldienstleister leisten.“
Wolfgang Roell
arbeitsblog: Was können Personaldienstleister unternehmen, um Zahlungsausfällen vorzubeugen?
Wolfgang Roell: Grundsätzlich gilt – wie in vielen anderen Fällen – Vorsicht ist besser als Nachsicht. Entscheidend ist die sorgfältige Prüfung des potenziellen Geschäftspartners, bevor es überhaupt zu einem Vertrag kommt. Als Factor prüfen wir für unsere Kunden stets die Bonität der Pflegeeinrichtungen im Vorfeld. Reicht diese nicht aus, wird kein Limit gewährt. Und ich kann nur an alle Personaldienstleister appellieren, sich an solche Empfehlungen zu halten! Es gibt handfeste Gründe für die Entscheidung des Factors. Und um den Kreis zu schließen und auf das Thema Personalnachfrage zu kommen, mit dem wir ins Gespräch eingestiegen sind: Es wird ausreichend Personal gesucht – für Personaldienstleister ist das von Vorteil. Sie müssen sich nicht auf jeden Vertrag einlassen. Daher auch meine Empfehlung: Suchen Sie im Zweifel lieber einen anderen Geschäftspartner, bei dem die (fehlende) Bonität nicht zu Problemen führen kann. Und: Wenn Sie nicht sicher sind, greifen Sie auf externe Beratung zurück.
arbeitsblog: Vielen Dank für das Interview!